„Fürchte dich nicht!“ Oder: Wenn mir die Muffe geht …

Predigt zum fünften Sonntag der Fastenzeit:

Text: 2. Mose 14, 9-13

9 Und die Ägypter jagten ihnen nach, alle Rosse und Wagen des Pharao und seine Reiter und das ganze Heer des Pharao, und holten sie ein, als sie am Meer bei Pi-Hahirot vor Baal-Zefon lagerten.

10 Und als der Pharao nahe herankam, hoben die Israeliten ihre Augen auf, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her. Und sie fürchteten sich sehr und schrien zu dem Herrn

11 und sprachen zu Mose: Waren nicht Gräber in Ägypten, dass du uns wegführen musstest, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan, dass du uns aus Ägypten geführt hast?

12 Haben wir’s dir nicht schon in Ägypten gesagt: Lass uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen? Es wäre besser für uns, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben.

13 Da sprach Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wiedersehen.

Gnade sei mit euch und Friede

von Gott unserem Vater

und unserem Herrn Jesus Christus.

Amen. 

 Liebe Gemeinde,

 ich weiß nicht, ob Sie es schon wussten: Eine Muffe ist ein Bauelement aus dem Installationshandwerk. Da gibt es Klemmmuffen, Stemmmuffen, Rastermuffen, Steckmuffen, Klebemuffen, Pressmuffen, Gewindemuffen. Nicht zu vergessen die Endmuffen. Eine Endmuffe ist die Verschraubung am Ende eines Rohres. Wenn die Muffe hält, bleibt das Rohr an seinem Ende dicht und alles ist gut.  Wenn die Muffe aber „geht“, dann steht das Haus bald unter Wasser.

 Wenn nun einer sagt, dass „ihm die Muffe geht“, ist damit nicht die Verschraubung am Ende eines Rohres gemeint, sondern der Schließmuskel am allerletzten Ende des Enddarms. Wenn jemandem dann diese „Muffe geht“, dann hat er ziemlich bald die Hose voll.

 Meistens passiert das, wenn man es mit der Angst zu tun bekommt. Warum eigentlich?

 Wissenschaftler sagen, das habe mit unseren Vorfahren zu tun. Wenn der berühmte Säbelzahntiger vor ihnen aufgetaucht sei, dann sei „ihnen die Muffe gegangen“. Sie hätten dann ihren Darm  – und vermutlich auch die Blase – entleert, um leichter zu werden, schneller laufen zu können und am Ende hoffentlich das Leben zu retten.

Nun, wir wollen das jetzt nicht weiter vertiefen. Fest steht aber: Wir haben die Veranlagung zur regen Verdauung, wenn in uns die Angst aufsteigt – vor einer Prüfung zum Beispiel sucht mancher eben öfter ein bestimmtes stilles Örtchen auf. Wer vor einem Auftritt Lampenfieber bekommt, der muss eben auch öfter mal wohin. Vielleicht ist das auch der Grund, warum wir beim Aufbau unserer Vorräte in den letzten Wochen angesichts des Coronavirus neben Nudeln oft auch an Klopapier gedacht haben: Es könnte uns ja die Muffe gehen …

In dem bekannten Bibelabschnitt zur fünften Woche der Fastenaktion geht einem ganzen Volk „die Muffe“. Unter Moses Führung ist das Volk Israel nach einem einzigartigen Showdown aus Ägypten ausgezogen. Ein tolles Gefühl muss das gewesen sein: Raus aus der Unterdrückung, der Freiheit entgegen. Weg von den Zwängen und Schikanen der übermächtigen und bis an die Zähne bewaffneten Ägypter, dem eigenen Land und einem Leben in Frieden und Freiheit entgegen. Ich habe schon die Melodie des alten Spiritual im Ohr: „When Israel was in Egyptland, let my people go …“

Doch dieses Hochgefühl dauerte nur bis ans Ufer des Schilfmeeres: Vor ihnen das Meer. In ihnen die bange Frage: Wie kommen wir da bloß ´rüber? Und hinter ihnen – was ist das? – das Donnern des heraneilenden ägyptischen Heeres! Zwar noch ohne Panzer, aber durchaus mit modernen Kampfwagen. Der Boden unter ihren Füßen vibriert, Panik breitet sich aus. Was tun, Mose?

„Keine Panik“ – zu Beginn der Coronaviruswelle konnte man in vielen Verlautbarungen diese Worte lesen. Ich habe mich da zunehmend gefragt, welchen Sinn sie wohl haben sollen. Denn dem, der wirklich Angst hat, kann ich nicht sagen: „Hab keine Angst!“ oder: „Kein Grund zur Panik!“ Denn wenn mir „die Muffe geht“, dann brauche ich nüchterne und gute Informationen über die Lage und Anweisungen, was zu tun ist. Erst das hilft mir, wieder „runterzufahren“, um besonnen einen Schritt vor den nächsten zu setzen.

Zurück ans Ufer des Schilfmeeres. Mit einem Mal spricht Mose zum Volk: „Fürchtet euch nicht!“ Dieser „Anti-Muffen-Satz“ ist Seelsorge pur. Es ist mehr als „Keine Panik auf der Titanic“ oder einfach „Hab keine Angst“ oder umgangssprachlich: Jetzt sch … dich nicht an!“

„Fürchtet euch nicht!“ ist gleichbedeutend mit „Denk dran, Gott ist auch noch da!“ Dieser „Anti-Muffen-Satz“ ist nämlich ein „Anders-Denk-Umschalter“, ein „Horizont-Erweiterer“. Angst kommt ja von Enge. Wenn jemand in die Enge getrieben wird, dann bekommt er Angst. Dann kriegt er „Muffensausen“ (– Erklärung siehe oben) Dann wird auch das Denken eng und der Blickwinkel kleiner.

„Fürchtet euch nicht“ ist aber wie das „Aber“ in den Klagepsalmen – zu finden im Liederbuch des  alten Volkes Israel, ziemlich in der Mitte der Bibel.  Erst wird geklagt, gemotzt, gewettert. Doch dann fällt dem Beter ein: Mensch, Gott ist doch auch noch da!

Schon schaut er nicht mehr nur auf das, was ihm Angst macht, sondern auch auf Gott. Das, was ihm das Herz eng macht, beklagt er nicht mehr für sich, sondern jetzt vor Gott. Mit einem Mal nöckelt er (westfälisch für „rummosern“) nicht mehr vor sich hin, sondern klagt Gott sein Leid. Mit einem Mal bringt er das, was ihm Not macht, in das Gespräch mit seinem Schöpfer ein.

Übrigens: Wer mal „googelt“, wie oft die Worte „Fürchtet euch nicht“ tatsächlich in der Bibel vorkommen, wird über die hohe Zahl überrascht sein. Immer und immer wieder gibt es Situationen, wo Menschen es mit der Angst zu tun bekommen und sie dann diese Worte zu hören bekommen: „Fürchte dich nicht!“

Als Josua an der Grenze zum gelobten Land von Mose die Führung übernehmen und das Volk ins neue Land führen soll, setzt bei ihm angesichts der neuen Aufgabe verständlicherweise auch eine rege Darmtätigkeit ein, aber Gott sagt: Fürchte dich nicht!“ Heißt: „Bleib locker, Junge, vertrau mir, ich bin auch noch da!“

Als in der Weihnachtsgeschichte die Engel den Hirten auf dem Felde erscheinen, schicken sie gleich, bevor den Hirten „die Muffe geht“, diese Worte voraus: „Fürchtet euch nicht!“ Heißt: „Ihr hier in der Schlammzone, bleibt getrost, denn jetzt Gott kommt zu euch!“ 

Als die Jünger am Ostermorgen vor dem leeren Grab stehen, spricht der Engel zu ihnen, noch bevor das Muffensausen einsetzt: „Fürchtet euch nicht!“  Heißt: „Ängstigt euch nicht bei dem, was hier abgeht. Gott hat die Lage in der Hand!“

Wir scheinen es als Menschen ziemlich schnell mit der Angst zu tun zu bekommen. Ob das daran liegt, dass der Mensch vor geraumer Zeit  – 1. Mose 3 – entschieden hat, sein Leben ohne die Beziehung zu Gott leben?

„Fürchte dich nicht!“ ist auf jeden Fall Gottes Mut machendes Wort an den pardon: „Schisshasen“ namens Mensch, den er vor langer Zeit einmal in die Welt gesetzt hat, um sein Freund und Partner zu sein.

Der Mensch braucht diese Erinnerung einfach immer wieder, um zu überleben. „Fürchte dich nicht!“ ist Gottes Anti-Muffen-Satz. Den sollen wir hören, um Trost zu tanken, neuen Mut zu bekommen, ein Herz zu fassen und die Dinge anzugreifen, die dran sind.

Ehrlich gesagt: ich bin auch so ein pardon: Schisshase. Ich brauche immer wieder Gottes Anti-Muffen-Wort, am besten jeden Morgen aufs Neue. Ich lese ein Bibelwort und spüre: Gott ist auch noch da. Ich kann dann viel gelassener in den Tag gehen!

Wenn ich mir Zeit nehme und bete und vor Gott benenne, was mir Muffensausen bereitet, dann spüre ich: Gott ist auch noch da. Ich habe dann nicht selten einen anderen Blick auf die Dinge, die mir Sorgen machen. Mein Eindruck ist: Alles, was dann am Tag noch so kommt, muss ja erst an Gott vorbei, bevor es zu mir kommt.   

 Das ist der Grund, warum wir in diesen Tagen, in denen wir uns nicht versammeln können, um Gottesdienst am Standort zu feiern, dennoch die Kirche öffnen. Wer mag, soll hineingehen können, einen Raum zur Stille und Besinnung finden. Bibeln und Andachtsbücher liegen aus, um darin zu lesen und zur Ruhe zu kommen. Darüber hinaus kann, wer mag, eine Kerze anzünden, sie vor dem Kreuz abstellen und ein stilles Gebet dazu sprechen.

 Mag sein, dass Gott dann zu ihm spricht: „Kerl, bleib locker, ich bin auch noch da!“ „Frau, fürchte dich nicht, bleib gelassen, ich bin bei dir!“

 Das ist der Grund, warum wir uns gern der ökumenischen Aktion angeschlossen haben, bis zum Gründonnerstag jeden Abend um 19.30 Uhr für fünf Minuten die Glocken zu läuten und die Gemeinde, wo auch immer sie gerade ist – zu Hause, unterwegs, in der Kaserne, auf dem Übungsplatz – zu erinnern: Sprecht ein Gebet. Bringt vor Gott, was euch Muffensausen bereitet, gerade in diesen Wochen!

 „Fürchtet euch nicht!“ – damals am Ufer des Schilfmeeres trugen diese Worte des Mose an das Volk zur Ruhe bei. Die Aufregung hörte auf, die Panik, die Klage und die rege Darmtätigkeit auch. Das Muffensausen ließ nach, je näher die Ägypter kamen!

 Gott ist auch noch da – das sorgt für Gelassenheit. Es macht den Kopf frei für das, was als Nächstes zu tun ist.

 Amen.

 

Gebet

Herr,

wenn ich an die gegenwärtige Lage denke,

mache ich mir vor Angst fast in die Hose.

Lass mich dann deine Nähe suchen

und durch dein Wort spüren, dass du da bist.

Gib mir dann die Ruhe wieder und die Kraft, zu tun, was zu tun ist.

Segne mich und die, die bei mir sind.

Unser Vater im Himmel,

geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme, 

dein Wille geschehe,

wie im Himmel, so auch auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen.